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«Niemand ist ein Fan der Burka»

Oliver Heimgartner ist seit letztem Jahr Co-Präsident der SP Stadt Zürich. Der Ex-Juso findet, dass es in Zürich ein Immobilienproblem gibt und sich die Linken mehr gegen Initiativen aus dem rechten Spektrum engagieren müssen.

Herr Heimgartner, Sie sind ein junger Politiker, der schon viel erreicht hat. Woher kommt Ihre Begeisterung für Politik?
Nach der Matura wollte ich ursprünglich studieren, dann hat die Politik aber mein Interesse geweckt. Ich habe grosse Motivation, aktiv dazu beizutragen, dass die Stadt Zürich progressiver und solidarischer wird und wir unsere ökologischen Ziele erreichen.

Was wollten Sie studieren?
Ich habe mir Volkswirtschaft und Recht intensiv überlegt und mich zu unterschiedlichen Zeitpunkten für beides angemeldet. Ich habe nie angefangen zu studieren, weil ich immer gleich im nächsten Projekt drin war.

Was fasziniert Sie an der Politik?
Mich fasziniert die Lokalpolitik, weil man die Lebensrealität der Stadtbevölkerung spürbar beeinflussen kann. Wenn man sich für Sachen einsetzt, die einem wichtig sind, kann man Abstimmungen gewinnen und eine Bewegung in der Gesellschaft bewirken, wie wir es zum Beispiel mit der Velorouten-Initiative geschafft haben. Dieses Gefühl etwas zu bewirken, fehlte mir an der Uni.

Sie waren Campaigner für Greenpeace. Warum sind Sie Mitglied bei der SP und nicht bei den Grünen?
Es ist mir wichtig, dass man Politik gesamtheitlich anschaut. Ich will mich nicht nur für ein Thema engagieren, sondern für eine solidarischere und antikapitalistische Gesellschaft, zu der viele Teilbereiche wie auch die Ökologie gehören. Ich will mich aber nicht nur gegen den Klimawandel einsetzen. Für mich sind auch gemeinnützige Wohnungen oder ein Mindestlohn von Bedeutung. Diese Bereiche deckt die SP besser ab als die Grünen.

Warum muss man Politik gesamtheitlich anschauen?
Das Zusammenleben in unserer Gesellschaft soll fair und gerecht von statten gehen. Es soll niemand ausgegrenzt werden oder in Armut leben müssen. Das politische Profil der Grünen und der SP sind zwar ähnlich, aber wir priorisieren Verteilungsgerechtigkeitsfragen.

Apropos gemeinnütziges Wohnen: Anfang März wurde die Vorlage zur Wohnsiedlung Letzi angenommen. Was sagen Sie dazu?
Das hat uns sehr gefreut, kam allerdings nicht überraschend. In der Stadt Zürich haben wir eine sehr hohe Zustimmung zu kommunalen Wohnsiedlungen. Bezahlbare Wohnungen sind ein zentrales Anliegen in der Stadt, weil sich hier die Mieten in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt haben. Immer mehr Wohnungen gehören Immobilienkonzernen. Und diese verlangen eben keine Kostenmiete, sondern bereichern sich mit exorbitanten Renditen auf Kosten der Bevölkerung.

Sie haben bereits für Gemeinde-, Kantons- und Nationalrat kandidiert. Wieso wurden Sie nie gewählt?
Es ist immer so, dass man nicht gleich bei der ersten Kandidatur ins Parlament gewählt wird. Bei der SP beginnt man als neues Mitglied zuerst hinten auf der Liste, mit der Zeit weiter nach vorne. Ich werde bei den nächsten Gemeinderatswahlen 2022 wieder kandidieren, dieses Mal habe ich vielleicht eine Chance in der nächsten Legislatur nachzurutschen.

Sie waren Co-Kampagnenleiter für die Konzernverantwortungsinitiative. Was haben Sie gedacht, als die Initiative zwar vom Volk angenommen wurde, aber am Ständemehr gescheitert ist?
Wir haben mehrere Jahre mit über 8000 Freiwilligen für diese Initiative gekämpft. Es ist bedauerlich, dass es am Schluss nicht für das Ständemehr gereicht hat. Gleichzeitig haben wir uns über das Volksmehr gefreut. Die klassischen Wirtschaftsverbände haben in diesem Thema ihre Deutungshoheit verloren, die Bevölkerung will endlich klare Regeln. Darauf können wir aufbauen.

Am 8. März war Weltfrauentag. Wie engagiert sich Ihre Partei für Frauen?
Die SP setzt sich in der Schweiz schon am längsten für die Gleichstellung ein. Die Partei hat für das Frauenstimmrecht und dessen Umsetzung gekämpft, sowie für das neue Eherecht. Wir achten darauf, dass Frauen und Männer ausgewogen auf unseren Listen vertreten sind. Wir setzen uns stark dafür ein, dass beide Geschlechter in jedem Lebensbereich gleichstellt sind: gegen Lohnungleichheit, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und gegen die Rentenalter-Erhöhung der Frauen.

Derzeit ist Ihre Partei aber nur mit einer Frau, dafür mit zwei Männern im Stadtrat vertreten. Wie wollen Sie das bei den nächsten Wahlen 2022 ändern?
Absolut. Wir sind 2018 mit zwei Frauen und zwei Männern für den Stadtrat angetreten, haben aber den Sitz von Claudia Nielsen durch ihren überraschenden Rücktritt wenige Wochen vor der Wahl verloren. 2022 werden wir wieder mit zwei Frauen und zwei Männern antreten.

Was unterscheidet die SP Stadt Zürich von der SP auf dem Land?
Die SP ist in der Stadt stark vertreten und hat Regierungsverantwortung. In vielen Landgemeinden ist sie dagegen in der Exekutive nicht oder nur sehr schwach vertreten. Dort ist sie eine Oppositionspartei, die kontrolliert, dass andere ihre Macht nicht missbrauchen und noch viel mehr Überzeugungsarbeit leisten muss für ihre Ideen und Ideale. Aber egal wo die SP Mitglieder im Kanton verteilt sind, ihre Wertehaltung für eine solidarische Gesellschaft ist ähnlich.

In der SP sind diverse Meinungen vertreten. Wie schaffen Sie es, als Partei geschlossen weiterzukommen?
Bei gewissen Themen gibt es prominente abweichende Meinungen, wie bei Mario Fehr in der Flüchtlingspolitik. Die Partei selber ist in dieser Frage aber geschlossen anderer Meinung als er.

Mario Fehrs Kurs teilen Sie ja nicht. Sie haben ihn auch schon verklagt.
Als Co-Präsident der Juso Kanton Zürich habe ich im Sommer 2015 eine Anzeige gegen Mario Fehr eingereicht, weil er aus unserer Sicht ohne die entsprechende Rechtsgrundlage eine Überwachungssoftware erworben hatte. Die Anzeige war damals das richtige Mittel, um auf die immer stärkere Überwachung der Bevölkerung – auch in der Schweiz – aufmerksam zu machen.

Was sagen Sie zum Abstimmungsresultat vom angenommenen Verhüllungsverbot?
Ich bedauere, dass die Initiative angenommen wurde. Es ist problematisch, wenn rechts-konservative Kreise versuchen, eine ganze Religion unter Generalverdacht zu stellen und damit vor viel wichtigeren Problemen in unserem Land ablenken. Dass die Mehrheit der Bevölkerung auf dieses Spiel reingefallen ist, finde ich schade. Wir müssen uns aber als Linke auch an der Nase nehmen und stärker gegen solche Initiativen ankämpfen.

Warum hat die Linke nicht stärker dagegen angekämpft?
Die SVP setzt immer wieder Themen, bei denen sich niemand richtig traut, dagegen zu kämpfen, weil es politisch nicht opportun ist. Das ist eine gefährliche Dynamik, weil die Rechten so immer wieder durchmarschieren können. Es will sich niemand stark machen für die Burka, niemand ist ein Fan der Burka. Aber aus sozialdemokratischer Sicht macht es trotzdem keinen Sinn, Kleidervorschriften in die Verfassung zu schreiben – und so Frauen vorzuschreiben, was sie anziehen dürfen und was nicht.

Stachelt so ein Abstimmungsresultat Ihr politisches Engangement an?
Ja. FDP und SVP haben die Schweiz zu lange regiert und ihre neoliberale Agenda durchgedrückt. Während sie der Bevölkerung vorspielen, gegen kriminelle Ausländer*innen vorzugehen, senken sie im Hintergrund die Steuern für Grosskonzerne, verhindern wirksamen Klimaschutz und wollen Immobilienhaien noch grössere Renditen erlauben. Darum braucht es die SP mehr denn je.

 

Junger Politiker

Der 25-jährige Oliver Heimgartner engagiert sich seit 2020 als Co-Präsident der SP Stadt Zürich für günstige Wohnungen und sichere Velorouten. Nach seiner Matura polarisierte er als ehemaliger Co-Präsident der Juso Kanton Zürich. Später war er Campaigner bei Greenpeace und Co-Kampagnenleiter für die Konzernverantwortungsinitiative. Seine Initiative für sicherere Velorouten wurde im Herbst 2020 von der Stadtzürcher Bevölkerung mit über 70% angenommen und ist sein bisher grösster lokalpolitischer Erfolg.

Bildurheber: zVg

Dieser Text entstand im Rahmen des Bachelorstudiengangs Kommunikation an der ZHAW.

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Salome Just

Ich schreibe für ZAKK, um meine Leidenschaft fürs Schreiben zu verwirklichen und meinen Schreibstil zu verfeinern. ZAKK ermöglicht mir, kreativ und offen zu schreiben, über was mich interessiert.