Manchmal, an ihren guten Tagen, da erkennt mich mein Grosi, da weiss sie, wer ich bin und weshalb ich anrufe. Dann reden wir meist über das Wetter. Sie hat schon immer gerne über das Wetter gesprochen; den Sonnenschein in den Himmel gelobt, den Regen und den Schnee in die Hölle gewünscht. Manche Dinge ändern sich wohl doch nie.
Wir telefonieren und ich frage sie, was es heute zu essen gab. Meistens, so wie jetzt, darf ich mir dann ausmalen, was sie mit «Nudeln mit Dings» oder «Reis mit einer Sauce und so etwas weisses» meint. Ich höre, wie es an ihrer Zimmertür klopft und eine Pflegerin ihr Zimmer betritt. «Frau Sieber, möchten Sie zum Kaffee runterkommen?», fragt sie. Mein Grosi ist ein bisschen überfordert mit mir am Telefon auf der einen Seite und mit der Pflegerin, die auf eine Antwort wartet, auf der anderen Seite. «Wart, wart rasch», sagt sie zu mir, dann zur Pflegerin: «Ich telefonier grad mit minere Tochter. Nei danke, ich möchte kein Kafi!»
Hin- und hergerissen, dass ich ihr sagen möchte ‘Ich bin deine Enkelin!’ und dass ich mir selbst sage ‘Ist doch egal’, sage ich schliesslich nichts. Sie erzählt mir, dass sie schon viermal nicht mehr zum Kaffee gegangen sei und dass die Leute hier das eigentlich wüssten.
Mein Grosi ist seit Mitte März im Alterszentrum, aber für sie sind es gefühlt Monate. Als ich sie am neuen Ort zum ersten Mal anrief, hat sie mich angefleht, sie abzuholen. Ich müsse sie unbedingt mit dem Auto abholen, da sie so viele Sachen habe, die sie nicht alleine tragen könne. Sie wisse nicht, wo sie sei und wie sie wieder nach Hause komme. Ich versuchte ihr – vergeblich – klarzumachen, dass das Alterszentrum nun ihr Zuhause sei. Inzwischen erinnert sie sich nicht mehr an ihre frühere Wohnung.
Als ich sie das erste Mal besucht habe – selbstverständlich erst nach dem ganzen Testprozedere –, wusste sie meinen Namen nicht mehr, aber sie erkannte mich an meinem Aussehen. Wenn ich mein Grosi besuche, dann ist es mir sehr wichtig, positiv zu sein, zu lachen und meine Freude auf sie zu übertragen. Ich möchte ihr zu verstehen geben, dass alles in Ordnung und sie nicht alleine ist. Die Maske macht dieses Unterfangen unglaublich schwierig, wenn nicht unmöglich. Meinem Grosi sind die Massnahmen egal, denn sie versteht sie nicht. Sie zieht die Maske ans Kinn herunter, damit sie wenigstens gut sprechen kann. Ich halte mich an die vorgegebene Maskenpflicht, was mich unendlich traurig macht, weil sie es verdient hätte, meine Emotionen zu sehen. Jene Emotionen, die ich habe und zeige, weil ich sie sehen und mit ihr sprechen kann.
Immer noch am Telefon erzählt sie mir, dass sie gerne vor ihrem Fenster im obersten Stock sitzt und hinausschaut. Sie habe eine tolle Aussicht auf den Streichelzoo unter ihr, auf die Wälder hinter dem umzäunten Alterszentrum und beobachte gerne die Passant*innen. Wir würden sie sehr gerne für einen Besuch zu uns nach Hause holen. Wenn wir das täten, müsste sie danach sieben Tage in Isolation, wobei diese Regelungen ständig ändern. Gerade im Alterszentrum, wo du sonst niemanden hast, wo du zu anderen auf Abstand gehalten wirst, da will ich ihr das nicht antun. Corona und die ganzen Massnahmen versteht sie ja nicht.
An ihren schlechten Tagen hat sie keine Ahnung, wer ich bin. Mein Name sagt ihr nichts und sie möchte wissen, weshalb ich anrufe.
«Hoi Grosi, ich bins, dMayra.»
«Wär? Hä? Nei, nei!»
Besser wird’s nicht, nur schwieriger. Corona setzt dem Ganzen noch einen drauf; keine Berührungen, keine Ausflüge. Überhaupt sind keine «normalen» Besuche möglich.
Die schlechten Tage werden die guten bald überwiegen. Ich sollte vorbereitet sein, doch kann man sich auf so etwas wirklich vorbereiten?
ZAKK gehört für mich einfach zum Studentenalltag dazu. Ich freue mich, den Lesern mit meinen Texten ein wenig Ablenkung zu verschaffen.
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Alias-Studierende der ZHAW
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