Foto: Praitk Gupta, unsplash
19.04.2024, Autorin: Sophie Wagner
In einer Welt schneller Swipe-Entscheidungen und oberflächlicher Begegnungen macht sich eine Müdigkeit breit. Haben wir wegen Dating-Apps verlernt, einander richtig kennenzulernen? Ein neuer Trend soll dies nun ändern.
Toxische Trends wie Gaslighting, also das absichtliche Manipulieren und Täuschen von Personen, oder Ghosting wurden durch das Online-Dating normalisiert. So stark, dass sie sich in unserem alltäglichen Sprachgebrach etabliert haben. «Benching» beschreibt beispielsweise das Warmhalten eines Matches durch unregelmässige und unverbindliche Kommunikation, während «Catfishing» das Verwenden falscher Identitäten und Informationen bezeichnet, um andere absichtlich in die Irre zu führen. Dann gibt es noch das bekannte «Ghosting», bei dem plötzlich der Kontakt abbricht, obwohl das Dating scheinbar gut lief.
Ein weiterer Begriff, der in diesem Kontext oft auftaucht, ist «Wifey Material». Es beschreibt eine Person, die Qualitäten und Eigenschaften besitzt, die man sich in einer/einem langfristigen Partner:in wünscht. Persönlich finde ich den Begriff höchst problematisch, da diese traditionelle Geschlechterrollen und Erwartungen impliziert. Weiter werden Frauen auf bestimmte stereotypische Eigenschaften oder Verhaltensweisen reduziert und die Vielfalt sowie die Individualität von Frauen ignoriert.
Überangebot möglicher Bekanntschaften
«Es ist schon schwierig, wirklich jemanden zu finden.» Insbesondere Tinder hat innerhalb der letzten zehn Jahren Millionen von Nutzer:innen auf die Plattform gezogen und somit das Daten quasi neu definiert. Eine ganze Generation hat sich daran gewöhnt, potenziellen Bekanntschaften oder Partner:innen über einen simplen Wisch nach rechts zu begegnen. Diese rasante Entwicklung provoziert nun eine Gegenbewegung: die «Swipe Fatigue». «Ich deaktiviere oder deinstalliere die App häufig, da ich keine Lust mehr auf das Ganze habe», erklärt eine Freundin. Es ist eine Mischung aus Erschöpfung und Frustration vom ständigen Hin- und Herswipen und dem Hoffen auf den einen Match.
Die Dating-App Hinge nutzt dieses Gefühl der Erschöpfung als Marketingstrategie. Die Qualität der Matches sowie die Möglichkeit, tiefere Verbindungen aufzubauen, spielen plötzlich wieder eine entscheidende Rolle. Fragen zur politischen Einstellung, der Familienplanung und zum Alkohol- oder Tabakkonsum sind direkt im Profil integriert. Eine Freundin meint dazu, sie würde stark auf diese Angaben achten, da sie ihr dabei helfen, ihre persönlichen Werte preiszugeben und Personen, die diesen nicht entsprechen, vorgängig auszusortieren.
«Slow Dating» als neuer Trend
«Trotz der Angaben treffe ich nur Leute in Abständen von ein paar Monaten», sagt sie weiter. «Slow Dating» ist ein Konzept, das sich der Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit des modernen Online-Datings gegenüberstellt. In einer Zeit, in der Dating oft von der sofortigen Befriedigung und der Suche nach dem nächstbesten Match geprägt ist, soll die neue Bewegung eine alternative Herangehensweise bieten, die auf Geduld, tieferen Verbindungen und spezifischerem Kennenlernen basiert.
Neue Alternativen wie noii werben mit dem Bedürfnis, zu «echtem» oder «ursprünglichem» Dating zurückzukehren. Video-Dates und Offline-Events anstelle von Swipen und Chatten sind hier das Motto.
Weshalb Dating-Apps nicht verschwinden sollten
Nichtsdestotrotz birgt das Online-Dating einige Vorteile für uns als Gesellschaft, vom Loswerden von Vorurteilen gegenüber Paaren, die sich über Dating-Plattformen kennengelernt haben, über das Vereinfachen oder Neudenken von Kommunikation bis hin zu stärkerer sozialer Durchmischung der Gesellschaft. Über Dating-Apps ist es leichter, aus seiner eigenen Bubble auszubrechen und Menschen aus anderen Kreisen kennenzulernen. Dies schon allein aus dem simplen Grund, dass die App mit dem Smartphone überallhin mitgenommen wird und so ein flexibles, ortsunabhängiges Dating ermöglicht.
Dennoch lässt mich eine Frage nicht los: Haben wir uns trotz neuer, teils innovativer Dating-Plattformen vielleicht sattgetindert? Kann sein. Aber womöglich ist weder Online- noch Offline-Dating leicht, sondern einfach nur anders.
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