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Dana Grigorceas "Die nicht sterben" (2021)

Eine Buchrezension von Andra Möckli

Quelle: SWR.de

Einmal Dracula und zurück – eine Reise durch die Geschichte der menschlichen Abgründe 
Der gebürtigen Rumänin und seit Jahren in der Schweiz wohnhaften Schriftstellerin Dana Grigorcea ist trotz der düsteren Geschichte ein bunter Mix aus gotischem Schauerroman um Vlad den Pfähler und einer zeitlos wirkenden Reise durch die Post-Ceausescu-Zeit gelungen.

Hauptfigur und Zentrum des Geschehens ist die namenlose Ich-Erzählerin und Malerin aus B., einer Stadt in den Karpaten. Sie hat in Paris Kunst studiert und kehrt in jenem Sommer 2004 wieder in ihr Heimatland Rumänien zurück – zu ihrer Grosstante mütterlicherseits, Margot, liebevoll Mamargot genannt, in deren prunkvollen Landsitz in der Walachei.  Allerdings warnt uns die Erzählerin gleich zu Beginn, ihr sei nicht zu trauen:  

«Ich kann nicht umhin, diese Geschichte zu erzählen, zumal ich sie aus nächster Nähe erlebt habe und alle Berichterstattungen darüber als falsch erkenne.»  

Dieser Satz führt die Leser*innen schon etwas in die Irre, was denn nun Realität und Fiktion sei. In der Tat vermischen sich in Grigorceas eindrucksvollem Roman die beiden Elemente konstant.  

Von Vlad dem Pfähler über Ceasescu als sinnbildlicher Dracula 

Die Ich-Erzählerin kehrte einst der Kunst wegen ihres Heimatlandes Rumänien den Rücken zu, allerdings nicht, ohne sich ein Türchen offen zu lassen, durch das sie im Verlauf der Erzählung immer wieder hindurchtritt. Heimat ist für sie das stets mit Menschen gefüllte Landgut Mamargots mit seinem Tennisplatz, die unheimliche und doch geschätzte Haushälterin Fräulein Sanda, die rumänischen Delikatessen und allen voran ihre geliebte Galerie.

Angekommen in der Gegenwart (im Roman schreiben wir das Jahr 2004) will sich das heimatliche Gefühl aufgrund der vielen Veränderungen jedoch nicht mehr so richtig einstellen. Die Erzählerin fühlt sich zunehmend einsamer, weil fast all ihre Freunde wie einst sie ins Ausland gezogen sind.  

Bis zum Ende der Diktatur durch Ceasescu im Jahre 1989 musste Mamargot die «Villa Diana» jedes Jahr aufs Neue mieten und befreite sie vorübergehend von dem ganzen Kommunistenkitsch (z. B. den weissen Laken über den Objekten, die ihr missfielen). Erst ab 1989 konnte sie das Landgut wiedererwerben und taufte es in die «Villa Aurora» um. 

Immer wieder vermischt sich die Gegenwart mit der Historie über Vlad den Pfähler – bekannt durch seine brachialen Foltermethoden (Pfahl zur Aufspiessung durch jegliche Körperteile) gegen die Osmanen und Inbegriff des «Dracula-Hypes» in Transsilvanien, Rumänien.  
Zurück in der Gegenwart wird auf dem Friedhof in der Krypta ein grausiger Leichenfund auf dem Grab des Pfählers gemacht und der geldgierige Alt-Bürgermeister Sabin verwandelt die Krypta in eine Art «Dracula-Park», um mehr Tourist*innen ins verschlafene B. anzulocken.  
Parallel dazu bekommt die namenlose Erzählerin des Öfteren Besuch vom echten «Dracula» und mutiert immer mehr selbst zur Untoten, verliert ihre menschlichen Eigenschaften (Hunger, Durst etc.) sowie ihr Spiegelbild. Dafür erhält sie Kräfte, mit denen sie u. a. die Zeit kontrollieren kann.  
Sie durchschaut das Spektakel des Bürgermeisters, begibt sich nachts in gefährliche Situationen und lebt erotisch durch die Lüfte schwingend als eine Art «Vampirella» ihre lüsterne und rachsüchtige Seite aus.  
 

Sein vs. Schein  

Der Roman spielt durchgehend mit der Frage: Was ist echt, was ist fake? 
Die Menschen wollen Geschichten hören und ihre Sensationslust befriedigen – dies hatte der Alt-Bürgermeister Sabin richtig erkannt.  
Nur zu gern lassen wir uns täuschen und weichen vom Kurs ab.  
Die Ich-Erzählerin erhält einen «Überblick», weil sie über den Dingen schwebt (nicht nur im übertragenen Sinne) und wir müssen ihr als Leser*innen glauben ob wir wollen oder nicht – denn eine andere Quelle haben wir in dieser Erzählung schlichtweg nicht.  
Der Dracula-Mythos wird demontiert, genauso wie andere Vorkommnisse im weiteren Verlauf.  
Zu viel soll noch nicht verraten werden, doch besonders gegen Ende des Romans fragt man sich immer öfters, genau wie die Protagonistin selbst, ob das alles nur ein fieberhafter Traum gewesen ist. Passend zu dieser Frage hält das Ende des Romans einen interessanten Schluss bereit, der wiederum zum Nachdenken anregt und entsprechend dazu selbstredend im Verborgenen bleibt.

Quelle: Andra Möckli

Dana Grigorcea (links) war am 30.10.2021 zu Gast am 11. «Zürich liest» im Modissa (rechts: Andra Möckli).  
«Die nicht sterben» erschien 2021 im Penguin Verlag und wurde im selben Jahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Autorin: Andra Möckli

Seit klein auf, liebe ich es zu lesen und zu schreiben, ob Romane oder journalistische Texte uvm. Besonders die Themen “Kunst und Kultur” faszinieren und inspirieren mich. Bei ZAKK habe ich die Gelegenheit, meiner Leidenschaft, dem Schreiben weiter zu folgen und in spannende Themen einzutauchen. Am Puls des Geschehens dabei zu sein und die Menschen zu informieren, unterhalten und bestenfalls inspirieren.