05.11.2022, Autorin: Nina Federer
Seit einigen Jahren bin ich nun schon die Freundin von…
Was das heisst? Ich führe eine Beziehung.
Was es eigentlich heisst? Im Namen meiner Beziehung habe ich mich anscheinend dazu bereit erklärt, unsichtbar zu werden.
Sobald wir nämlich in eine neue soziale Gruppe kommen, bin ich automatisch das Anhängsel, sein Groupie oder ganz einfach unselbstständig. Wieso also dazugehören, wenn ich auch zu ihm gehören kann?
Das Paradoxe an der ganzen Situation ist, dass ich alle diese Dinge tatsächlich sein könnte, und es würde nichts an der Wahrnehmung anderer ändern. Wäre ich nämlich das willenlose Accessoire eines Mannes, bekäme ich all das immer noch zu hören. Natürlich ist das nicht die einzige oder die grösste Problematik des Patriarchats. In Anbetracht von Femizid und sexueller Gewalt scheint es beinahe banal. Und doch zeigt es die Ohnmacht von Frauen auf. Die gesellschaftliche Wahrnehmung, dass Frauen ohne einen Mann unvollständig sind, ist tief verankert und selbst in den progressivsten Köpfen zu finden.
Mein Freund ist kein lauter Mann, keiner dieser Männer, deren Stimme man durch das ganze Gebäude hallen hört.
Als wir vor einigen Jahren zusammen bei einem Projekt arbeiteten, war ich diejenige die Ideen lautstark vertrat, die uns einschloss und die mehr oder weniger lustige Witze riss. Jetzt, Jahre später bin aber auch ich diejenige, deren Namen vergessen wurde. Ich kann schreiend durchs Leben gehen und werde dennoch überhört. Ich bleibe namenlos. Machtlos.
Als Kind verstand ich dieses Phänomen noch nicht, ich schritt in die Zukunft, unwissend, dass ich durch mein Geschlecht verdammt war. Damals brauchte ich nicht jedes meiner Worte zu hinterfragen, ich war nicht leise, doch ich wurde es.
Es braucht Kraft, sich nicht selbst durch die Linse der Gesellschaft zu messen. Es braucht auch Verständnis anderen Frauen gegenüber, die dieselben Erfahrungen machen. Denn diese Stille ist nicht meine. Es ist unsere. Es ist die verdammte Struktur, eines gebrochenen Systems. Frauen teilen sich diese Stille und es braucht Arbeit, sie zu brechen, Arbeit, die nur wir selbst leisten können.
Es gibt Versuche, die Stimmen von Frauen zu fördern, wie zum Beispiel die Frauenquote. Doch auch dort gibt es empörte Männer, die sich an ihre Privilegien klammern wie an einen Rettungsring. Für jeden feministischen Vorstoss gibt es gleich abertausende Männer, die eine Plattform bekommen, um ihre ach so wertvollen Beiträge zu äussern.
Die Stimmen und Meinungen von Männern sind ein Mantra. Was Männer sagen, gilt, was Männer sagen, wird zur Bibel der Gesellschaft, die besagt, dass die Stimme von Frauen ein rituelles Opfer bleibt. I call Bullshit.
Wir verdienen es, gehört zu werden, und zwar nicht nur dann, wenn wir uns männlicher Rhetorik bedienen, nicht nur im Anzug, sondern auch im Minirock, ungeschminkt und sogar splitterfasernackt.
Ich führe meine Beziehung gerne, aber ich weigere mich deswegen ein halbes Leben zu führen, wo mir vorgeschrieben wird, wie ich zu sein und nicht zu sein habe. Ich habe es satt, dass für mich oder über mich geredet wird, dass mir das Recht auf Autonomie abgesprochen wird und als die Freundin von vorgestellt zu werden. Wenn ich endlich nicht mehr nur die Freundin von bin, sondern – Gott behüte – ein ganzer Mensch, bin ich zufrieden. Doch auch dann werde ich nicht leiser, versprochen.
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Alias-Studierende der ZHAW
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