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Skandalakte FIFA – die kontroverse Weltmeisterschaft in der Wüste

07.12.2022, Autor: Daniel Ribeiro

Die Fussball-Weltmeisterschaft ist zu Gast in Katar. Während rund einem Monat misst sich die Weltspitze des Fussballs auf den neuerbauten Plätzen. Alle Augen und Kameras der Welt sind auf das Land gerichtet, für welches Gleichberechtigung und Menschenrechte noch Fremdwörter sind.

Wer stemmt den Pokal in die Höhe? Quelle: unsplash.com/Fauzan Saari

Seit Sonntag, 20. November 2022, rollt der Ball wieder. Die 22. Auflage der Fussball-WM zieht die Sportfans in den Bann – zumindest versucht sie es. Grund dafür? Der Austragungsort: Katar. Der Wüstenstaat liegt an der Ostküste der arabischen Halbinsel am Persischen Golf. Rund 2,7 Millionen Einwohner:innen zählt das Land, von welchen aber nur knapp 10 Prozent Staatsangehörige sind. Die restlichen 90 Prozent bestehen aus Arbeitskräften mit Migrationshintergrund, ohne katarische Staatsangehörigkeit – die höchste Quote weltweit. Seit Erlangen der vollständigen Unabhängigkeit 1971 wird das Land autoritär als absolute Monarchie regiert. Was der Emir Tamim bin Hamad Al Thani sagt, das zählt.

Überraschende WM-Vergabe

2010 sorgte der damalige FIFA-Präsident Sepp Blatter für Stirnrunzeln, ja gar für Sprachlosigkeit, als er Katar als Austragungsort für die Weltmeisterschaft bekannt gab. Der Underdog setzte sich gegen Australien, Japan, USA und Südkorea durch, welche ebenfalls für die WM 2022 kandidiert hatten. Wieso wird aber eine Bewerbung von einem Land akzeptiert, welches noch keine Infrastruktur hat, Frauen fast keine Rechte haben und Homosexualität als Verbrechen sieht? Wie Blatter 2022 in einer ZDF-Reportage sagte: «Wir sind nicht davon ausgegangen, dass sie gewinnen.» Mittlerweile ist durch verschiedene Whistleblowers und der Netflix-Doku «FIFA Uncovered» ans Licht gekommen, dass die Stimmen für die Wahl von Katar gekauft wurden. Und wenn der Wüstenstaat etwas hat, dann ist es Geld. Seither sind aber zwölf Jahre vergangen, und die Weltmeisterschaft findet trotz allem in Katar statt.

Projekt Gnadenlos

Dass Katar in einem schlechten Licht steht, war den Verantwortlichen im Lande ab dem Wahltag bekannt. Damit nichts zwischen Katar und die Weltmeisterschaft kommt, ist den Gastgebern jedes Mittel recht. Über einen Zeitraum von neun Jahren sollen rund 66 Ex-CIA-Agent:innen für ein Budget von 387 Mio. zum Einsatz gekommen sein, um FIFA-Funktionär:innen und Gegner:innen der Katar-Wahl auszuspionieren. Dahinter soll die Herrscherfamilie rund um den Emir stecken. Ziel des Projekts: So viele Informationen wie möglich herauskriegen und diese den Behörden in den USA weiterleiten. Mit anderen Worten: die grössten Gegner:innen aus dem Weg räumen. Dabei war auch die Schweiz betroffen. Peter Hargitay (77), ein PR-Profi mit Schweizer Pass, wurde Opfer eines Cyberangriffs. Er war der Berater der australischen Kandidatur für die WM 2022. Durch Hargitay wollten sie an Informationen gelangen von Frank Lowy, Chef der Australien-Kandidatur. Der Schweizer bemerkte gewisse Vorfälle und reichte 2012 in Zürich Strafanzeige ein, doch die Staatsanwaltschaft stellt den Fall wegen unzureichenden Ermittlungsansätzen acht Jahre später ein.

Neue Infrastruktur inmitten von nichts, Quelle: pixabay.com/jatocreate

Gleichberechtigung und Menschenrechte

Und so marschiert Katar unverdrossen zur Weltmeisterschaft. Seit der Wahl ist eine Infrastruktur aufgebaut. In acht Stadien werden die Spiele ausgetragen, sechs davon wurden extra für den Event neu errichtet. Die geschätzten Kosten belaufen sich auf 200 Milliarden US-Dollar. Was aber nicht neu errichtet wurde – und was aus westlicher Optik gesehen wesentlich wichtiger gewesen wäre – sind die Gesetze. Ein Beispiel: Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind strafbar, alles ausser Heterosexualität gilt als Sünde. Oder Regenbogenflaggen, die sind strikt untersagt. Frauen, welche vergewaltigt oder sexuell belästigt wurden und Anzeige erstatten, werden wegen Verleumdung festgenommen. Bei Geburt eines Kindes gilt der Mann automatisch als Hauptvormund. Falls die Mutter mit dem Kind verreisen möchte, muss sie die Einverständniserklärung des Mannes dabeihaben. Für unverheiratete Frauen unter 30 Jahren ist es gang und gäbe, dass Hotels ihnen das Einchecken verweigern. Die Liste könnte noch weitergeführt werden. Unvorstellbar, wie solch ein Event in so einem Land stattfinden kann. Was macht die FIFA?

Personen mit Regenbogenflaggen werden nicht festgenommen

Für die FIFA ist die WM ein Ort, an welchem «Alle Willkommen» sind. Und so kommt unbeabsichtigt eine Präsentation ans Licht, welche das Verhalten der Polizei während der Weltmeisterschaft regeln soll. Im «Participants and attendee behaviors and offenses»-Dokument wird dargestellt, wie mit den Fans umzugehen ist. So steht im Dokument etwa: «Personen, die die Regenbogenflagge oder andere Flaggen mit sexueller Identität tragen, werden weder angesprochen noch festgenommen oder strafrechtlich verfolgt.» Gleiches gilt für Personen, die kritische Banner zeigen oder öffentlich demonstrieren. Des Weiteren steht auch: «Frauen werden nicht angezeigt, wenn sie Vergewaltigung oder sexuelle Belästigung oder Gewalt zur Anzeige bringen.» Widersprüchlich wird dieses Dokument dann, wenn einer der katarischen WM-Botschafter im TV, Homosexuelle als «geistig behindert» darstellt. In einem Presse-Briefing der Sport & Rights Alliance zu genau diesem Thema erhält ZAKK auf die Frage, ob die Spiele jetzt wirklich sicher für Frauen und Personen aller Sexualitäten sind, folgende Antwort von Chamindra Weerawardhana, ILGA World: «Ob das geleakte Dokument so eingehalten wird, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Einerseits ist es im Interesse von Katar, die FIFA-Guidelines einzuhalten, denn die ganze Welt schaut hin. Andererseits haben sie schon offen kundgegeben, dass Regenbogenflaggen abgenommen werden, um – und jetzt kommt es – die Rainbow-Comunity zu schützen».

Und so schaut die Welt ganz genau hin. Viele werden die Weltmeisterschaft boykottieren, andere sind mit der Lage nicht zufrieden, befinden sich aber in einem moralischen Konflikt, da das Fussballherz alle vier Jahre immer höherschlägt. Egal, wie sich jede Person entscheidet, das Turnier findet statt. Was aber bleiben wird, ist ein weiteres dunkles Kapitel der FIFA, die den beliebtesten Sport der Welt nicht für gute Zwecke einsetzt.