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Foto: Studio Ghibli

Filmkritik: Will Ghibli zu viel auf einmal?

19.12.2023, Autor: Lenard Baum

Studio-Ghibli-Gründer Hayao Miyazaki kehrt noch einmal aus dem Ruhestand zurück. Mit stolzen 82 Jahren schuf der Regisseur mit «The Boy and the Heron» seinen bis dato vielleicht persönlichsten Film. Nachdem dieser bereits erste Erfolge in Japan gefeiert hat, kommt er auch in die europäischen Kinos.

Mahito Maki, ein Schuljunge aus Tokio, muss mit ansehen, wie seine Mutter während des Pazifikkriegs bei den Bombenangriffen auf die japanische Hauptstadt im Flammenmeer stirbt. Knapp ein Jahr später zieht der traumatisierte Junge mit seinem Vater, einem Flugzeugingenieur der Kaiserlichen Japanischen Armee, aufs Land zur Schwester seiner Mutter. Dort fällt es ihm schwer, sich zurechtzufinden. Als ihn dann ein sprechender Reiher darüber informiert, dass seine Mutter noch lebt und er sie aus in einem geheimnisvollen Turm befreien müsse, hält den Zwölfjährigen nichts mehr. Wird es dem Jungen gelingen, seine totgeglaubte Mutter zurückzuholen? Was erwartet ihn in dieser magischen Welt im Turm des Reihers? Und welches Spiel spielt dieser mit ihm?

Schon auf den ersten Blick merkt man, dass Miyazakis neuester Film nicht für Kinder gedacht ist. Frei nach einem japanischen Märchen und, wie immer bei Miyazaki, mit Anekdoten aus seiner eigenen Biografie ist das neue Werk des Studio-Ghibli-Gründers entstanden. Vom Kindheitstrauma der Brandbomben bis zur Bedeutung der Mutter im Leben eines Jungen. Man kann nur ansatzweise erahnen, welche altbekannten Themen Miyazaki in seinem vielleicht letzten Film wieder aufgreift. Vom Tod zum Leben, Verlust und Heilung, Mutter und Sohn, Unterwelt und Zwischenwelt oder Werden und Vergehen. Aber nicht nur die Geschichte und ihre Dialoge sind hier zu erwähnen, sondern natürlich auch die Zeichenkunst, die in diesem Film steckt. Ein neuer, komplett handgezeichneter Film, untermalt mit einer Musik, welche die Herzen der Studio Ghibli Fans wieder einmal höherschlagen lässt. Ein Film, der für alle Fans des Altmeisters perfekt scheint und sie mit seiner umfangreichen Story und Zeichenkunst abholt. Aber ist zu viel immer gut?

Es war die Marketingstrategie des Films– oder besser, der Mangel daran-, die vor allem in Japan für Diskussionen sorgte. Ein einziges, minimalistisches Plakat wurde mitten in Tokio platziert und sollte ganz allein, ohne Hilfe von Trailern und Promotionsbildern für den Erfolg des Anime sorgen. Ein Glücksspiel, aber Miyazakis erster Film nach fast einem Jahrzehnt wurde allein durch Mundpropaganda zu einem der erfolgreichsten aller Ghibli-Filme.

Ähnlich sieht es im Westen aus: allein für die englische Synchronisation konnten große Namen wie Robert Pattinson, Karen Fukuhara, Mark Hamill, Florence Pugh und Willem Dafoe gewonnen werden. Diese werden allerdings erst im neuen Jahr zu hören sein. Bis dahin kann man sich die Originalversion mit Untertiteln im Kino ansehen.

Kritik: 

– The Boy and the Heron – vereint in sich alles, was Ghibli-Fans an Miyazakis Filmen so lieben: von der Musik, die man stundenlang hören könnte und die einen in die magische Welt von Ghibli entführt bis zum für Studio Ghibli so charakteristischen Zeichenstil, der uns in bestimmten Momenten wieder in die Abenteuer von Kiki, Chihiro oder Totoro zurückversetzt. In all diesen Filmen finden sich Themen und Motive Miyazakis wieder, doch die Anspielungen und Verweise auf all diese zum Teil schwierigen Themen wie die Zerstörung der Natur, die Verarbeitung von Tod und Trauer, die Gerechtigkeit zwischen Herrschaft und Verfall, sind nicht immer leicht zu verstehen.

Ein Film mit so vielen Querverweisen und Themen, dass man sie gar nicht alle aufzählen könnte. Es scheint fast natürlich, dass man so viele Themen nicht zu Ende erzählen kann. So interessant und wichtig sie sind, so erschlagend können sie beim ersten Sehen wirken. Für Ghibli-Fans schafft Miyazaki in seinem vielleicht letzten Film eine Mischung aus all den Themen, die ihm im Laufe seiner Karriere wichtig waren. Für Zuschauer*innen, die mit Miyazakis Schaffen nicht vertraut sind, könnte zu viel des Guten sein. Was bleibt, ist kein leicht zugänglicher Ghibli-Film, dafür aber einer, der umso mehr die Themen in uns wachruft, die Miyazaki zeitlebens auf die Leinwand bringen wollte.

ZHAW-Note: 5.25/6 

Foto: Studio Ghibli

Gesehen beim Zürich Film Festival. Film ab dem 01.11.2 im Kino auf JP mit Untertitel.