Foto: Bildarchiv TA
11.03.2024, Autor: Lenard Baum
Es war der 28. Februar 1999 als ein wildes Tier, Fans und Spieler auf dem Rasen des Letzigrund Stadions in Schrecken versetzte. Eine Zürcher Rettungsgeschichte über einen Journalisten auf der Suche nach einer Geschichte, ein aufgestyltes Tier und einen gefährlichen Spieltag.
Die Pressefotografen können es kaum erwarten. Mit gezückten Kameras warten alle auf den neuen Star im Letzigrund. Vor dem Spielertunnel hat sich das grosse Presseaufgebot versammelt und von allen Seiten blitzen die Kameras auf ihn, als er, begleitet von Arzt und Betreuer, das Spielfeld betritt. Zum Start der Finalrunde zwischen dem FC Zürich und des FC St. Gallen sollte sich alles um ihn drehen. Kein Bild galt den Fußballspielern, die sich auf dem Rasen aufwärmten, als Maradona das Spielfeld betrat. Es war nicht Diego Armando Maradona, der argentinische Weltfussballer, der neben seiner fussballerischen Klasse und einem Handtor im WM-Finale vor allem für seinen Kokainkonsum bekannt war. Nicht der damals 39-jährige argentinische Zauberer betrat an jenem Tag den Zürcher Rasen, sondern ein junger, eine Tonne schwerer Stier mit dem Spitznamen «Maradona».
Muni auf Abwegen
Knapp zwei Monate zuvor sollte die Geschichte des Munis «Maradona» eigentlich schon zu Ende sein. Der Muni, der auf einem Schlachthof in der Nähe des damals noch nicht vollständig überbauten Letzigrund-Areals gehalten wurde, war auf dem besten Weg, zu Hundefutter verarbeitet zu werden. Doch wie sein späterer Namensgeber kannte auch der Muni keine Regeln, die ihn aufhalten sollten, und büxte aus «Wilder Muni in der Zürcher Innenstadt unterwegs». Noch spektakulärer wurde es, als «Maradona» auf das ungenutzte Spielfeld des FC Zürich rannte. Seine Flucht schien gescheitert, die Geschichte erzählt. Wären da nicht die Sportjournalisten gewesen, die ins Stadion geschickt wurden, um über den Stier zu berichten
Lebende Tiere sind in manchen Sportarten mehr als üblich, im Fußball aber eher die Ausnahme. Der portugiesische Rekordmeister Benfica Lissabon lässt vor jedem Spiel einen Weisskopfseeadler «Victoria» aufsteigen, Europa-League-Sieger Eintracht Frankfurt einen Steinadler namens «Attila» und in der deutschen Domstadt Köln ziert ein Geißbock das Wappen des 1. FC Köln: Geißbock Hennes, mittlerweile in der 9. Der Verein aus der Karnevalsstadt war es auch, der seinerzeit einen Sportjournalisten dazu inspirierte, mit einem Vorschlag an FCZ-Vizepräsident Hugo Holenstein heranzutreten. Er überredet ihn, den Muni als Glücksbringer zu kaufen und als neues «Live-Maskottchen» bei den Spielen auftreten zu lassen. Der FCZ-Vizepräsident willigte ein und geboren war «Maradona», das neue FCZ-Maskottchen, das im Finalspiel gegen den FC St. Gallen seinen ersten Auftritt haben sollte. Doch ein Muni ist keine Ziege und lässt sich viel schlechter dressieren als ein Adler.
Geissbock Hennes ist in Köln selbst auf dem Logo wiederzuerkennen.
Video: 1. FC Köln
PR-Desaster Incoming?
Zurück zum 28. Februar, als sich die Spieler bereits aufwärmten und der Pressetunnel von Journalisten umringt war. Das herausgeputzte Tier, mit einem FC-Zürich-Schal um den Bauch gebunden, war gerade in Begleitung eines Tierarztes und eines neuen professionellen Stierführers eingetroffen. Das neue Maskottchen sollte sich den Fans präsentieren, doch die Masse an FotografInnen mit ihren Blitzlichtern ließ das Tier steil laufen. Der langjährige Präsident und Mäzen des FC Zürich, Sven Hotz, erinnerte sich einmal in der NZZ am Sonntag an den Tag zurück: «Ich kam ahnungslos aus den Katakomben, da sprang mir Maradona entgegen. Er rannte in Richtung Ersatzbank. Drei Fotografen stürzten übereinander. Die Spieler flüchteten hinters Tor. Der Stier drehte auf der Leichtathletik-Bahn ab, warf den Supporter-Präsidenten um(…). Die Spieler flüchteten hinters Tor. Der Stier drehte auf der Leichtathletik-Bahn ab, warf den Supporter-Präsidenten um…»
Video: SF2
Mit einem Tritt flog der Stier zurück, und schon stürmte Maradona auf das Spielfeld, freilich ohne Ball, auf die Spieler zu. Der damals als knallhart geltende St. Galler Verteidiger Marco Hellinger stellte sich zunächst sogar mutig vor das verwirrte Tier, doch auch er musste schnell erkennen, dass sich ein echtes Tier nicht so einfach einfangen lässt. «Maradona» rannte schließlich die Treppen des Stadions hoch in Richtung der ZuschauerInnen. «Das war ein Riesenschock», erinnerte sich Sven Hotz später an diesen Moment, der für den FC Zürich ein glückliches Ende nahm.Das Tier setzte sich in die Sitze des Stadions und konnte von den Ordnern beruhigt und mitgenommen werden.Weder der junge Stier noch die Anwesenden wurden ernsthaft verletzt.Später sollte Präsident Hotz wenig überraschend verkünden: «Man wird den Stier nie mehr im Letzigrund sehen».Besser so, dachte sich die Super League und bestrafte den Verein mit einer Geldstrafe von 30’000 Franken.Doch welches Urteil sollte über «Maradona» gefällt werden?
Ausgestattet mit einem Fan-Schal fand sich «Maradona» auf der Tribüne des Stadions wieder.
Foto: Dieter Seeger
Happy Ending?
Ein Jahr später war Hotz schon besser auf den Ochsen zu sprechen: «Sobald wir uns für die Finalrunde qualifiziert haben, fahren wir mit der ganzen Mannschaft in den Jura», liess er verlauten, denn dort fand der Ochse seine Ruhe vor der Presse. Nach der Aufregung auf dem Spielfeld wechselte «Maradona» vom FC Zürich ins wenige Kilometer entfernte Kloster Fehr. Doch auch die Benediktinernonnen konnten das Tier nicht bändigen. Zu wild und ungestüm sei er, heisst es, und so geht seine Reise weiter in den Jura.Als prominenter Neuzugang wird der Ochse ausnahmsweise im jurassischen «Le Roselet» in die «Stiftung für das Pferd» aufgenommen, ohne ein solches zu sein.
Foto: Bildarchiv TA
Auf Presseanfragen heißt es zwar, «er sei natürlich wilder und aggressiver». Aber Maradona habe sich sehr gut eingelebt. «Er ist ein guter Ochse mit einem ausgezeichneten Charakter», hieß es von Seiten der Pfleger. 2011 fand er schliesslich mit 13 Jahren sein Ende, ein hohes Alter für einen Ochsen, wie man im Jura hört.Ob die Zürcher Spieler ihr Maskottchen wirklich im Jura wiedersahen, ist nicht sicher, aber einige Fussballfans besuchten den Ochsen in seinen letzten Jahren.
Die Flucht des Tieres sorgte für internationales Aufsehen, sogar die englische Boulevardpresse berichtete über den Stier im Letzigrund. Ein kurzes, aber wildes Kapitel des Schweizer Fussballs, das zeigt, dass Tiere auf dem Spielfeld eigentlich nichts zu suchen haben und welche Kuriositäten es im Fussball gibt.
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