Foto: Searchlight Pictures

Filmkritik: Von Tragik, der Liebe und drei Geschichten

09.07.2024, Autor: Lenard Baum

In «Kinds of Kindness» schafft Regisseur Jorgos Lanthimos ein Triptychon, also drei voneinander unabhängige Geschichten in einem Film. Neben grossen Namen wie Emma Stone und Willem Dafoe zeichnen sich alle drei durch ihre Tragikomik und Absurdität aus.

In der ersten Geschichte versucht Robert (Jesse Plemons), aus der ebenso ungewöhnlichen wie gefährlichen Beziehung zu seinem Chef Raymond (Willem Dafoe) auszubrechen. Er begibt sich auf eine Reise, die sowohl physisch als auch psychisch zerstörerisch ist. Im zweiten Teil kann der Polizist Daniel (Jesse Plemons) das Verschwinden seiner Frau Liz (Emma Stone) nicht verkraften. Nach ihrer Rückkehr scheint nichts mehr so zu sein, wie es vorher war. In der letzten Geschichte werden die Sektenmitglieder Emily (Emma Stone) und Andrew (Jesse Plemons) von ihrem Propheten Omi (Willem Dafoe) ausgesandt. Ihr Ziel: ihre Prophetin zu finden. Doch Emily gerät in einen inneren Konflikt, als sie ihre kleine Tochter wiedersieht.

Während frühere Projekte des griechischen Regisseurs wie „The Lobster“ oder „Dogtooth“ bekannt dafür sind, dass sie eine klare Botschaft vermitteln, scheint dies in seinem neuesten Projekt deutlich schwieriger gewesen zu sein. Und das obwohl alle drei Geschichten eine Vielfalt an Emotionen abbilden – von Ekel über Freude und Trauer bis hin zu Überraschung. Dem markanten Stil, für den man ihn kennt, bleibt Lanthimos auch in seinem achten Spielfilm treu. Seine Darstellungen sind durchdringend grafisch, von intimen Kuss- und Sexszenen über Blut und Selbstverstümmelung bis hin zu Sequenzen, die Knochenbrüche, Hundesuizid und gar eine angedeutete Vergewaltigung zeigen. Doch trotz der Härte einiger Bilder scheint die romantische Liebe über allem zu stehen.

Schauspielerisch sticht vor allem Jesse Plemons hervor. Der Ehemann von Kirsten Dunst schafft es in zwei Hauptrollen und einer Nebenrolle, die Zuschauerschaft durch die drei Geschichten zu begleiten. Unabhängig davon, ob er auf der Bildfläche Wut, Angst, Trauer oder schlichte Arroganz empfindet – seine Darstellung ist stets authentisch und so vielschichtig wie der Film selbst. Besonders in der ersten Geschichte überzeugt er. Entsprechend wurde er in Cannes als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Emma Stone schafft es vor allem als Protagonistin Emily in der letzten Geschichte, Freude und zutiefst menschliche Abscheu zu vereinen. Was bleibt, ist die zweite Geschichte, die den dreien für die Zuschauerschaft vielleicht am schwersten zu verdauen ist. Das Unglück des mittleren Kindes.

Kritik: 

In Cannes hat der Film für Furore gesorgt, und hier? Lanthimos‘ Filme sind selten etwas für die breite Masse, und das gilt auch für «Kinds of Kindness». Zu brutal sind manche Szenen, zu schräg manche Übergänge, zu unverständlich mag die Grundaussage der drei Geschichten erscheinen. Aber Tragikomik ist das Element des Griechen. Wer abgetrennte Zehen und gebrochene Knochen ertragen kann, darf sich auf eine starke Plemons-Performance und einen wilden Filmritt freuen.

Nach seiner Traumrealität meets Frankenstein «Poor Things» und grossen Erfolgen wie dem Golden Globe in der Kategorie „Beste Komödie/Musical“ kehrt Lanthimos in die absurde Welt von Filmen wie «The Lobster» zurück. Im Stil einer hochkarätig besetzten Folge von Twin Peaks gelingt es ihm, die Zuschauer:innen in seinen Bann zu ziehen. Manchmal will man nicht hinsehen. Manchmal muss man aber doch. Und wieder einmal gelingt es Lanthimos meisterhaft, uns noch tiefer in seine Filmwelt zu ziehen – so beunruhigend und beklemmend und doch von einer seltsamen Schönheit durchzogen, die gleichermassen fasziniert und verstört.

ZHAW-Note: 4.75/6 

Foto: 20th Century Studios

Film ab dem 04.06.24 in den Deutschschweizer Kinos und seit dem 26.06.25 in den Westschweizer Kinos.